Konjugation im Präsens
Regionale Unterschiede


Morphologische Studien zeigen, dass in den meisten Sprachen die meistgebrauchten Worte tendenziell kürzer sind [1, 2]. Das leuchtet ein. Es wäre doch sehr umständlich, relativ einfache Zusammenhalte auszudrücken, wenn die Verben sein oder haben so lang wären wie etwa entgegensetzen!

So ist es im Deutschen natürlich auch: die meistgebrauchten Verben sind eher kurz. Aber die alemannische Dialektfamilie verwendet noch kürzere Formen, die aus linguistischer Sicht sehr interessant sind, weil deren Konjugation Regeln unterliegt, die auf StdDt nicht gültig sind. Kurzverben wie auf CHDt gibt es übrigens auch in manchen germanischen Sprachen Nordeuropas, z.B. im Norwegischen oder Schwedischen, deren Kurzverben überraschenderweise fast identisch zu den schweizerdeutschen sind [3].

Kurzverben haben einen einsilbigen Infinitiv, der immer auf einen langen Vokal oder Diphtong endet [4, 5]. Auch das Partizip Perfekt ist meistens einsilbig.

si1Auch sy oder sii geschrieben. Obwohl die Schreibweise si im Grunde genommen falsch ist, weil lange Vokale durch Verdopplung angegeben werden müssen, ist die Schreibweise si sehr verbreitet. Das ist wohl ein weiteres Beispiel dafür, wie die am Meisten verwendeten Worte auf natürliche Weise tendenziell vereinfacht werden.sein
ha2Auch haa geschrieben. Auch hier ist ha eigentlich nicht ganz richtig, aber sehr verbreitet.haben
chokommen
gaa / googehen
staa / stoostehen
laa / loolassen
geegeben
neenehmen
schlaa / schlooschlagen
gseesehen
tuetun
zieziehen
fliefliehen
gscheegeschehen
faa3Fangen wird oft als Nicht-Kurzverb gebraucht, also als fange (fang, fangsch, fangt, fanget). Jedoch werden von fangen abgeleitete Verben wie aafaa (anfangen) wie Kurzverben konjugiert (faa aa, faasch aa, faat aa, fönd aa).fangen
Tabelle 1: die schweizerdeutschen Kurzverben [4, 5]. Hier gibt es die vollständigen Konjugationstabellen.
¹Auch sy oder sii geschrieben. Obwohl die Schreibweise si im Grunde genommen falsch ist, weil lange Vokale durch Verdopplung angegeben werden müssen, ist die Schreibweise si sehr verbreitet. Das ist wohl ein weiteres Beispiel dafür, wie die am Meisten verwendeten Worte auf natürliche Weise tendenziell vereinfacht werden.
²Auch haa geschrieben. Auch hier ist ha eigentlich nicht ganz richtig, aber sehr verbreitet.
³Fangen wird oft als Nicht-Kurzverb gebraucht, also als fange (fang, fangsch, fangt, fanget). Jedoch werden von fangen abgeleitete Verben wie aafaa (anfangen) wie Kurzverben konjugiert (faa aa, faasch aa, faat aa, fönd aa).

Von Kurzverben abgeleitete Verben, wie z.B. umeschlaa («um sich herum schlagen»), durezie (durchziehen), abelaa (herunterlassen), ufegaa (hinauf gehen), etc., sind nicht mehr einsilbig, aber sie werden wie Kurzverben konjugiert.

Konjugation im Präsens

Normale Verben haben einen Stamm, und die verschiedenen Formen werden durch das Hinzufügen einer Endung gebildet. Kurzverben haben dagegen einen Singularstamm und einen abweichenden Pluralstamm, der meistens einen Umlaut enthält [6]. Ausserdem ist die Endung im Plural anders als bei Normalverben.

Beispiel
Infinitivtue
ichSingularstammtue
duSingularstamm + schtuesch
er / si / esSingularstamm + ttuet
mir / ir / siPluralstamm + ndtüend
Tabelle 2: Konjugation der Kurzverben

Kurzverben sind stark irregulär. So können sie einen stark abweichenden Singularstamm und irreguläre Singularendungen haben, z.B. gee (geben): gib, gisch, git.

Ausserdem gibt es im Plural regionale Unterschiede. Zum Beispiel haben auf Zürichdeutsch alle drei Personen die gleiche Form. In Bern, Basel und Graubünden können zwei verschiedene Pluralformen vorkommen, im Wallis sogar drei, wie die folgenden Karten [7] zeigen:

Regionale Unterschiede

Auf Tabelle 1 sind für gehen, stehen, lassen und schlagen jeweils zwei Formen angegeben. Diese zwei Formen sind nicht grundsätzlich austauschbar, sondern sie hängen von der Region ab. In diesem Blog möchte ich mich auf Zürichdeutsch konzentrieren, aber da die Kurzverben sehr oft verwendet werden, ist es keine schlechte Idee, auch die Formen zu kennen, die in anderen Regionen üblich sind. Zum Beispiel:

ZHDt4ZürichdeutschBADt5Baseldeutsch / BEDt6Berndeutsch / SHDt7Schaffhausendeutsch
Infinitivlaaloo
ichlaaloo
dulaaschloosch
er / si / eslaatloot
mir / ir / sindnd
Zürichdeutsch
Baseldeutsch
Berndeutsch
Schaffhausendeutsch

Regionale Unterschiede in der Konjugation kann es auch geben, ohne dass der Infinitiv variiert. Zum Beispiel:

ZHDtBADtZHDtBADtZHDtBADT
Infinitivgeegeeneeneechokoo
ichgib(e)giibnim(e)nimmchum(me)kumm
dugischgischninschnimmschchunschkunnsch
er / si / esgitgitnintnimmtchuntkunt
mir / ir / sindndndnämmechöndkemme
Perfekt(g)geegeegnaagnoochokoo

Quellen

  1. Kurzverben und Morphologie
  2. Frequenz von Kurzverben
  3. Kurzverben in germanischen Sprachen
  4. Schweizerdeutsche Kurzverben
  5. Die Kurzverben im Schweizerdeutschen
  6. Umlaute in Kurzverben
  7. Kleiner Sprachatlas der deutschen Schweiz